Was für eine blöde Frage, denkst du dir vielleicht jetzt? Schön, dann habe ich dich zumindest zum Nachdenken angeregt Aber mal ehrlich. Ich möchte dieses Thema heute mal etwas aufgreifen, weil es mir in den letzten Wochen immer wieder über den Weg gelaufen ist.
Die Frage ist gar nicht mal so unberechtigt. Wir alle wachsen mit gewissen Glaubenssätzen auf. Die werden geprägt von unserer Erziehung, unserem Charakter, unserem Umfeld und unseren Erlebnissen. Und ein Glaubenssatz, der sich in den Köpfen der Pferdemenschen gefühlt sehr tief eingebrannt hat, ist die Angst vor einer Unterversorgung, aber einer Überfütterung. Jeder hat Angst, dass sein Pferd zu dick ist. Futter wird rationiert, zeitgesteuert gefüttert, grammgenau abgewogen und Rationen bis ins kleinste Detail berechnet. Gleichzeitig aber wird tabellenweise vergleichen, welches Mineralfutter am besten geeignet ist, was für die Muskulatur gefüttert werden muss, für die Arthrose, den Fellwechsel, die Hufe, die Sehnen und noch mehr.
Die Futtermittelindustrie schürt diese Ängste natürlich auch immer weiter. Wenn dein Pferd nicht das goldene Muskelprodukt bekommt, dann wirst du nie so ein guter Reiter wie Frau Gräf. Oder wenn du nicht dieses Magenprodukt gibst, dann bekommt dein Pferd ganz bestimmt Magengeschwüre. Hat es vielleicht noch nicht, kann es aber bekommen. Und natürlich: Mindestens zwei Mal im Jahr sollte euer Pferd eine Ausleitungskur bekommen, damit die Entgiftung auch gut funktioniert.
Versteht mich bitte an dieser Stelle nicht falsch. Es kann unglaublich gut, wichtig und notwendig seine Pferde in bestimmten Situationen zu unterstützen, etwas zu füttern, was Probleme vermindern kann oder auch mal präventiv zu arbeiten, wenn etwas anstehen könnte. Aber ich komme zu meiner Ausgangsfrage zurück und formuliere sie mal etwas um: Traust du dir zu einzuschätzen, dass dein Pferd gesund ist?
An dieser Stelle kommt in vielen ein Gefühl auf, nicht selten ein echtes Schuldgefühl. Besonders bei Besitzern von Pferden, die schon einmal wirklich krank waren. Dann kommt die kleine Stimme im Kopf: „Aber damals hast du auch alles falsch gemacht.“, „Du warst ja selber schuld, dass dies oder jenes passiert ist.“, „Ich habe aber falsch gefüttert und deswegen hat mein Pferd dies oder jenes bekommen“, und natürlich „Das letzte mal habe ich es nicht mitbekommen, dass etwas schlechter wurde.“. Diese Form der Selbstzweifel steckt in ganz vielen sehr tief. Mein Lehrer hat früher schon immer gesagt: Wer aufhört Fehler zu machen, hört auf sich weiterzuentwickeln. Diese Facebook-Seite und das ganze Thema der natürlichen Pferdefütterung würde es nicht geben, wenn ich nicht so unglaublich viel falsch früher gemacht hätte. Aber das habe ich nie mit Absicht getan. Ich habe schon früher viel gelesen. Ich habe nicht ganz so oft auf mein Bauchgefühl gehört, denn dann hätte ich schon früher einen anderen Weg eingeschlagen.
Mit all diesen Themen im Hinterkopf gehen wir jeden Tag zu unserem Pferd. Voll Glaubenssätze, Selbstzweifel und Schuldgefühle. Nicht bewusst, denn das wäre ein erster Schritt in den Weg heraus. Und ihr werdet jetzt bestimmt auch erstmal sagen: Nee, das ist nicht so bei mir. Aber wartet ab, in den nächsten Tagen werdet ihr euch bei Gedanken erwischen. Dann werdet ihr schmunzeln und an mich denken
Und dann schaut ihr euer Pferd noch einmal mit neuen Augen an. Wie sieht sein Fell aus? Glänzt es auch ganz ohne das Fellglanzspray von xy? Wie wirkt es auf euch? Wach, neugierig, freudig, tobt es gerade mit seinen Pferdekumpels, genießt es die letzten Sonnenstrahlen? Oder nimmt es noch schnell ein genüssliches Schlammbad, weil es dich mit dem Halfter entdeckt hat? Wenn ihr es putzt, wie fühlt sich euer Pferd dabei an? Könnt ihr die Rippen spüren oder waren die schon länger im Sommerspeck nicht mehr gefunden? Wie klappt das Training? Ist euer Pferd mit Freude dabei? Kommt ihr in jeder Einheit an einen „MEGA-Moment“, in dem ihr rundum zufrieden seid? Und wie sind die Augen eures Pferdes? Schaut einmal ganz bewusst hin und das gerne auch mal über mehrere Tage hinweg.
Und wisst ihr, was das wichtigste dabei ist? Euer Bauchgefühl! Das habt ihr doch eigentlich alle, wenn ihr einmal recht darüber nachdenkt. Wenn ihr zum Pferd geht oder fahrt, dann wisst ihr doch schon, wie es heute drauf ist. Es reicht ein Blick aus dem Augenwinkel, um eine Krankheit zu erkennen. Ihr seid so eng mit euren Pferden verbunden, warum kann euch da jemand von außen so unglaublich verunsichern? Also wenn ihr heute zu euren Pferden geht, dann schaltet mal kurz den Kopf aus und den Bauch an. Wie fühlen sie sich an? Wie fühlt ihr euch mit ihnen? Und könnt ihr nicht vielleicht doch einfach mal mit dem Job, den ihr als Futtermeister, Trainer und Pferdemama leistet, ganz zufrieden sein?
Ist es wirklich notwendig jeden Tag mit der großen Katastrophe zu rechnen? Oder wäre es nicht viel schöner, die Zeit mit eurem Pferd voll und ganz so genießen? Glaubt mir, die Zeit ist kurz und wertvoll. Und wenn etwas ansteht, wo ihr eingreifen müsst, dann werdet ihr es merken! Aber versucht zwischendurch auch einfach euer gesundes Pferd oder das auf dem Wege dahin zu genießen und stolz auf euch und euer Pferd zu sein!
Ich bin auf jeden Fall stolz auf euch alle. Ich treffe so viele Pferdemenschen die alles geben, damit es ihren Pferden gut geht. Wir sehen so gerne nur das Unperfekte. Heute möchte ich einmal die Augen öffnen für all das, was doch eigentlich schon ganz schön ist. Ihr müsst es auch niemanden verraten, wenn ihr da etwas findet.